#debütpreisbloggen,  Rezension

#DEBÜTPREISBLOGGEN 3/5 – ELIJAS LIED VON AMANDA LASKER-BERLIN

*Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar von der Frankfurter Verlagsanstalt zur Verfügung gestellt.

„Loth zuckt die Achseln. Schaut auf ihre Füße. Denkt an das: Noch-einmal-Schwestern-Sein. Daran, wie sie sich vorgestellt hat, dass Noa und Loth sich ganz nah sein könnten. Dass Noa Loth was erzählt und sie zusammen darüber lachen. Und dass Elija sich an sie kuschelt. Viel öfter, als sie das bei Noa macht.“

Noch einmal Schwestern sein

Ist das möglich? Kann man die Vergangenheit zurückholen? Die drei Schwestern Noa, Loth und Elija versuchen es und begeben sich zusammen auf eine Wanderung. Keine von ihnen erkennt das Moor, die Landschaft oder den Berg wieder, dabei waren sie bereits als Kinder mit ihren Eltern dort. Die Erinnerung will nicht wiederkommen, die Landschaft bleibt ihnen fremd und die Schwestern sich ebenso. Jede ist versunken in den eigenen Erinnerungen und bleibt für sich, eine Wanderung zu dritt und doch alleine.

Leere Bäuche

„Elija muss alleine auf die Bühne. Da ist dann niemand außer ihr und ihrem leeren Bauch und der Narbe, die niemand sieht. Da sind dann nur sie und die Musik.“

Elija und ihr Bauch. Ihr Bauch, der so viel arbeitet, ständig rumort, nie zufrieden ist. Ihr dicker Bauch, vor dem die magersüchtige Loth sich ekelt, ihr Bauch, der eine unsichtbare Narbe trägt. Was, wenn das eigene Kind, das Kind mit Down-Syndrom, ungewollt schwanger wird? Ihre Eltern unterschreiben für sie, Elija wird nicht gefragt. Wie sehr sie das beschäftigt, merkt man an der ausgestopften Eule, die Elija unterwegs in einem Gasthaus mitgehen lässt und wie ein Kind unter ihrem T-Shirt trägt. Die Eule erinnert sie an sich selbst, wie sie sich nach der Abtreibung gefühlt hat:

„Die Eule ist vollkommen leer, aber ausgestopft. Absolut offen, aber zugenäht. An der Stelle, an die sonst keiner schaut.“

Elija lebt oft im Moment und nimmt vieles sehr intensiv wahr, ist impulsiv und ungeschickt. Durch ihre Gedanken blickt man auf ihre Welt, ihre Wünsche und Sehnsüchte, und nimmt die Dinge auf ihre Weise wahr. Oft ist sie überfordert von der Vielzahl an Eindrücken, die sie nicht so schnell verarbeiten kann und als Leser*in bekommt man durch ihre Perspektive ein Gespür für ihre feine Wahrnehmung.

Egal, wie schön wir malten…

Dann gibt es da noch die beiden jüngeren Schwestern Noa und Loth, die sich von ihren Eltern oft übergangen und zu wenig wertgeschätzt gefühlt haben, die immer schon mehr Aufmerksamkeit auf Elija gelegt haben.

„Und egal, was für schöne Bilder die anderen malen, wie gut sie singen, wie gut die Noten sind, nie ist das so wichtig, wie das die Erste [Elijas, Anm. d. V.] endlich alleine zur Toilette gehen kann, sich anzieht, Fleisch kleinschneidet.“

Alle drei Schwestern sind Außenseiter auf verschiedene Arten: Elija durch ihre Behinderung, Loth durch ihre rechtsextreme politische Einstellung und Noa durch ihren Beruf als Sexualbegleiterin für Pflegebedürftige. Während Loth laut und wütend ist, auf Demos radikale Reden hält und Videos aufnimmt, wie sie Scheiben einschlägt, ist Noa das komplette Gegenteil. Sie ist ruhig und zurückgezogen, es fällt ihr schwer, ihre eigenen Gedanken und Gefühle zu lokalisieren und überhaupt über sich und ihren Beruf zu sprechen.

„Andere kann Noa durchs Fühlen so leicht erkennen. […] Wenn sie Elija streichelt, kann sie hören, was in Elijas Körper vor sich geht. Nur wenn sie ihr eigenes Gesicht berührt, dann ist da nichts.“

Wie stark können Menschen sich verändern? Wie stark ist das Band zwischen den Schwestern? Erreichen sie den Berg zusammen? Und dann ist da ja auch noch der Abstieg. Sicher ist nur, dass es danach wohl nie mehr so sein wird wie früher…

Ein feinfühliger und nuancierter Roman, der aus einer einfachen Wanderung etwas macht, das so viel mehr ist als das. Ein reduziertes Setting, das dazu führt, dass man sehr tief in die Figuren eintaucht und sie von innen heraus zu einem sprechen. Und je leiser sie sprechen, desto lauter hallt es wider. Ein Debüt, das mich gefesselt, bestürzt und begeistert hat!

Erschienen in der Frankfurter Verlagsanstalt.

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Zur Autorin:


Amanda Lasker-Berlin wurde 1994 in Essen geboren und studierte Freie Kunst in Weimar und aktuell das Studienfach Regie in Ludwigsburg. Für ihre Dramen und Prosatexte erhielt sie bereits mehrere Preise.

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Sandra Doods schreibt als Buchbloggerin unter dem Pseudonym Frau Pastell über Gegenwartsliteratur auf Instagram und ihrem eigenen Blog. Als Lektorin für Abschlussarbeiten unterstützt sie Studierende dabei, ihre wissenschaftlichen Arbeiten sprachlich und inhaltlich zu optimieren. Ihr Studium der Fächer Deutsch und Psychologie an der TU Dortmund hat ihr dabei geholfen, ein tiefes Verständnis für die menschliche Psyche und Sprache zu entwickeln, das sie in ihrer Arbeit als Lektorin und Buchbloggerin einsetzt. Als Teil der Bloggerjury des Literaturpreises "Das Debüt" engagiert sich Sandra Doods aktiv für die Förderung angehender Autorinnen und Autoren und unterstützt diese bei ihren ersten Schritten im Literaturbetrieb. In ihrer Freizeit liest Sandra Doods vor allem psychologische Romane und klassische Krimis. Neben ihrem literarischen Interesse beschäftigt sie sich mit der Programmierung von Apps und interessiert sich für interdisziplinäre Themen, insbesondere für die Verbindung von Literatur, Psychologie und Digitalität.

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