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Die Magie der Intertextualität: Wie Harry Potter literarische Verbindungen herstellt

Kein Text ist eine Insel.

Intertextualität ist ein faszinierendes Konzept in der Literaturwissenschaft, das beschreibt, wie Texte miteinander in Beziehung stehen und sich gegenseitig beeinflussen. Der Begriff wurde von der Literaturtheoretikerin Julia Kristeva geprägt und betont, dass jeder literarische Text in einem Netzwerk von Texten existiert, die sich aufeinander beziehen. Doch was bedeutet das konkret? Lassen Sie uns dieses Konzept anhand von J.K. Rowlings weltbekannter Harry Potter-Reihe genauer untersuchen.

Was ist Intertextualität?
Intertextualität bezeichnet die vielfältigen Beziehungen, die zwischen Texten bestehen können. Diese Beziehungen können in Form von direkten Zitaten, Anspielungen, Parodien oder strukturellen Parallelen auftreten. Das Konzept geht davon aus, dass kein Text isoliert existiert; vielmehr interagiert jeder Text mit anderen Texten und erschafft so ein komplexes Netz von Bedeutungen. Ein berühmtes Beispiel ist James Joyces Ulysses, das stark auf Homers Odyssee anspielt. Ein weiteres Beispiel ist J.K. Rowlings Harry Potter-Reihe, die viele mythologische und literarische Referenzen enthält.

Intertextuelle Bezüge in Harry Potter
Beispiel 1: Der Phönix

Der Phönix Fawkes, der in mehreren Bänden der Harry Potter-Reihe auftaucht, ist eine direkte Anspielung auf den mythologischen Vogel, der in vielen Kulturen als Symbol für Wiedergeburt und Unsterblichkeit steht. In der griechischen Mythologie, zum Beispiel, stirbt der Phönix in Flammen, nur um aus seiner eigenen Asche wieder aufzuerstehen. Diese Figur bringt zusätzliche Bedeutungsebenen in die Geschichte ein, indem sie Themen wie Erneuerung, Hoffnung und das Überwinden von Widrigkeiten verstärkt.

In Harry Potter und die Kammer des Schreckens rettet Fawkes Harry, Ron und Ginny aus der Kammer, indem er Harry seine heilenden Tränen und die nötige Kraft zur Verfügung stellt, um Tom Riddle zu besiegen. Diese Szene ist nicht nur dramatisch, sondern tief symbolisch und verweist auf die mythologische Bedeutung des Phönix.

Beispiel 2: Der Stein der Weisen

Der Stein der Weisen, der im ersten Buch, Harry Potter und der Stein der Weisen, eine zentrale Rolle spielt, ist eine direkte Referenz zur Alchemie und der Legende des Philosophensteins. In der westlichen Alchemie wird der Stein der Weisen als ein mystisches und mächtiges Objekt angesehen, das in der Lage ist, unedle Metalle in Gold zu verwandeln und Unsterblichkeit zu verleihen. Diese Anspielung verbindet die magische Welt von Harry Potter mit historischen und esoterischen Traditionen und fügt der Geschichte eine tiefere Ebene von Mystik und Geheimnis hinzu.

Nicolas Flamel, eine historische Figur und angeblicher Besitzer des Steins der Weisen, wird in Rowlings Buch als tatsächlicher Charakter eingeführt. Diese Verbindung zu einer realen historischen Figur verleiht der magischen Welt von Harry Potter eine zusätzliche Authentizität und Tiefe.

Beispiel 3: Die Namen der Charaktere


Viele Namen in der Harry Potter-Reihe sind mit intertextuellen Anspielungen versehen:

Sirius Black: Sirius ist der Name des hellsten Sterns im Sternbild Canis Major (Großer Hund), was auf Sirius’ Animagus-Form als großer schwarzer Hund verweist.
Remus Lupin: Remus ist einer der mythischen Gründer Roms, der von einer Wölfin aufgezogen wurde, und Lupin leitet sich vom lateinischen “lupus” für Wolf ab, was auf seine Werwolf-Natur hinweist.
Diese Namensgebung verleiht den Charakteren eine tiefere symbolische Bedeutung und verbindet sie mit historischen und mythologischen Geschichten.

Beispiel 4: Parselmund und die Schlangensymbolik


Die Fähigkeit, mit Schlangen zu sprechen (Parselmund), und die Schlangensymbolik sind tief in mythologischen und religiösen Texten verwurzelt. In der Bibel steht die Schlange oft für Versuchung und das Böse, wie im Fall der Schlange im Garten Eden. Voldemort, der Antagonist der Serie, kann ebenfalls Parsel sprechen und hat eine Schlange (Nagini) als Haustier, was seine Verbindung zum Bösen und zu dunklen Mächten verstärkt. Auch das Haus Slytherin ist mit dem Symbol der Schlange gekennzeichnet und nimmt eine antagonistische Stellung im Buch ein.

Warum ist Intertextualität wichtig?


Intertextualität schafft tiefere Bedeutungsebenen und bereichert das Leseerlebnis. Sie fordert uns Leser*innen auf, über den Text hinauszudenken und Verbindungen zu anderen Werken zu entdecken. Diese Verbindungen eröffnen neue Interpretationsmöglichkeiten und ermöglichen es uns, die Vielschichtigkeit und Komplexität eines Textes besser zu verstehen.

Im Fall von Harry Potter lädt uns die Intertextualität ein, die reichhaltigen literarischen und kulturellen Traditionen zu erkunden, auf die Rowling anspielt. Dies vertieft nicht nur unser Verständnis der Harry Potter-Reihe selbst, sondern auch der Werke, auf die sie sich bezieht.

Fazit


Die Harry Potter-Reihe ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie Intertextualität in der Literatur funktionieren kann. Durch die Einbindung von mythologischen, literarischen und historischen Referenzen schafft J.K. Rowling eine reiche und vielschichtige Erzählung, die Leser*innen jeden Alters fasziniert und inspiriert.

Lasst uns die literarischen Netzwerke gemeinsam erkunden! Welche intertextuellen Bezüge habt ihr in Harry Potter oder euren Lieblingsbüchern entdeckt?

Sandra Doods schreibt als Buchbloggerin unter dem Pseudonym Frau Pastell über Gegenwartsliteratur auf Instagram und ihrem eigenen Blog. Als Doktorandin forscht und schreibt sie aktuell im Bereich Digitalität und Literatur. Sie unterstützt als Lektorin für Abschlussarbeiten Studierende dabei, ihre wissenschaftlichen Arbeiten sprachlich und inhaltlich zu optimieren. Ihr Studium der Fächer Deutsch und Psychologie an der TU Dortmund hat ihr dabei geholfen, ein tiefes Verständnis für die menschliche Psyche und Sprache zu entwickeln, das sie in ihrer Arbeit als Lektorin, Doktorandin und Buchbloggerin einsetzt. Als Teil der Bloggerjury des Literaturpreises "Das Debüt" engagiert sich Sandra Doods aktiv für die Förderung angehender Autorinnen und Autoren und unterstützt diese bei ihren ersten Schritten im Literaturbetrieb. In ihrer Freizeit liest Sandra Doods vor allem psychologische Romane und klassische Krimis. Neben ihrem literarischen Interesse beschäftigt sie sich mit der Programmierung von Apps und interessiert sich für interdisziplinäre Themen, insbesondere für die Verbindung von Literatur, Psychologie und Digitalität.

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